2.4 Déjà vu – Integration aus
einer systemischen Perspektive
Bisher haben wir uns ausführlich mit den einzelnen Teilen Management,
Prozess und Projekt, beschäftigt, den ebenso wichtigen Aspekt der
Integration jedoch vernachlässigt. Folglich stellen wir uns der Frage
nach dem „Warum?“ der Integration. Dabei ist es unser Ziel, eine solide
Argumentationskette aufzubauen, um eine Begründung für die
Zusammenführung von Management, Prozess und Projekt, zu geben.
Die Spezialisierung und Aufsplitterung von
im Zusammenhang benötigtem
Wissen, ist ein Grundübel mit dem Manager tagtäglich einen zähen Kampf
auszutragen haben. Was erschwerend hinzukommt ist die Tatsache, dass
sich das Problem nicht in Luft auflöst, sondern von Tag zu Tag
schwerwiegender wird. Wie es Knut Bleicher treffend formuliert hat,
haben vielfältige Varianten die Betrachtung vom engeren
wirtschaftlichen Handeln in Betrieben weg und hin zum Verhalten im
Hinblick auf einen viel weiteren Kreis von Zielvorstellungen verschoben
(Vgl. Bleicher 2004, S. 29-30). Konsequent weitergedacht
führt ein weiterer Kreis von Zielvorstellungen zu einer verstärkten
Spezialisierung und Aufsplitterung von Wissen.
Die Autoren stellen in diesem Zusammenhang
folgende Forderung auf: Die Wissensfragmente Management, Prozess und
Projekt, die künstlich aufgesplittert wurden, müssen wieder
zusammenfinden bzw. integriert werden, um eine gemeinsame Sichtweise
auf ein und dasselbe zu ermöglichen. Bleicher schlägt ins gleiche
Kerbholz: Der vorgezeichnete Weg zur Verarbeitung des Paradigmenwechsel
von der Betriebswirtschaftslehre zur Managementlehre sollte den
Integrationsgedanken der Managementlehre in den Mittelpunkt der
Betrachtung stellen (Vgl. Bleicher 2004, S. 32). Im Folgenden gilt es
die Frage nach dem „Warum?“ der Integration zu beantworten. Hierzu wird
das Konzept der Interdisziplinarität herangezogen, welches im engen
Zusammenhang mit dem angesprochenen Integrationsgedanken der
Managementlehre steht.
Integration durch
Interdisziplinarität
Neben der Detailkomplexität gibt es die dynamische Komplexität oder
auch Beziehungskomplexität. Sie kommt in Situationen vor wo Ursache und
Wirkung schwierig zu erkennen und die langfristigen Folgen von
Eingriffen nicht offensichtlich sind. Dabei hat ein und dieselbe
Handlung kurzfristig völlig andere Auswirkungen als langfristig. In den
meisten Management-Situationen liegt die wahre Hebelwirkung in einem
Verständnis der dynamischen Komplexität, nicht wie häufig angenommen
der Detailkomplexität. Die meisten „Systemanalysen“, sowie auch ein
Großteil der aktuellen Management-Literatur, konzentrieren sich auf die
Detail- und nicht auf die dynamische Komplexität. Es kann nicht
zielführend sein Komplexität mit Komplexität zu bekämpfen und immer
komplexere oder, genauer gesagt, detailliertere Lösungen für immer
komplexere Probleme zu entwickeln
(Vgl. Senge 2001, S. 91-93). Erst, wenn man die wichtigsten
Wechselbeziehungen wahrnimmt, erkennt man neue und vor
allemwirkungsvolle Handlungsmöglichkeiten im System „Management“.
Angesprochene Beziehungskomplexität liefert uns den Schlüssel zum
Konzept der Interdisziplinarität und somit zur Integration der
Bestanteile
Management, Prozess und Projekt.
Unter Interdisziplinarität
versteht man die Eigenschaft einer Wissenschaft Ansätze, Denkweisen
oder zumindest die Methoden einer anderen Fachrichtung, zu nutzen.
(Interdisziplinär 2005)
Ausgehend von einer vorwiegend
wissenschaftlichen Fragestellung umfasst eine interdisziplinäre
Arbeitsweise oder Forschung zwei oder mehr voneinander unabhängige
Fachgebiete, die mit ihren jeweiligen Methoden der definierten
Fragestellung nachgehen (Vgl. op.cit.). Mit dem, von uns angestrebten,
Integrationsgedanken der Managementlehre
ist eine vermehrt interdisziplinäre Ausrichtung zwangsläufig verbunden.
Somit können wir uns auf der einen Seite einem viel weiteren Kreis von
Problemstellungen widmen, was den Übergang von der
Betriebswirtschaftslehre zur Managementlehre ja gerade kennzeichnet.
Auf der anderen Seite können weniger komplexe, integrierte Lösungen für
immer komplexere, interdisziplinäre Probleme angewendet werden.
Schließlich ist es unumgänglich die
Beziehungen der Elemente im System Management aufzuzeigen und zu
analysieren bevor wir die einzelnen Teile des zu integrierenden Ganzen
zusammenführen können. Zu diesem Zweck wurde die Methode des
Strukturdiagramms (Vgl. Berne 1966, S. 140f.), welche aus der
Transaktionsanalyse (Vgl. Stewart/Joines 1990, S. 23f.) stammt, auf
unsere Aufgabenstellung angewendet. Im Folgenden werden beispielhaft
ausgewählte Beziehungen zwischen den Elementen Projekt und Prozess des
Systems Management erläutert, die aber keineswegs den Anspruch auf
Vollständigkeit haben (Im Rahmen der Untersuchung wurden die
Perspektiven gewechselt, um ein möglichst umfassendes Bild zu
generieren).
Beziehungen zwischen „Projekt“ und
„Prozess“
- Management stellt die Verbindung zwischen
Prozessen und Projekten dar, in Form von Prozessmanagement und
Projektmanagement.
- Sowohl für die Entwicklung einer
Prozessorganisation als auch für deren Umsetzung in die Praxis,
empfiehlt sich eine Projektorganisation (Vgl. Franz/Scholz 1996, S.
24f.)
- Obwohl Projekte definitionsgemäß
einzigartige Abläufe darstellen,
können Projekte mithilfe eines standardisierten
Projektmanagement-Prozesses organisiert werden (Vgl. Project Management
Institute 2004, S. 37f.).
- Innerhalb dieser Rahmenbedingungen kann
die Aussage getroffen werden: „Ohne Prozess kein Projekt und ohne
Projekt kein Prozess.“
- Projekte sind genau wie Prozesse
funktionsübergreifend, da beide zumeist eine ganzheitliche Aufgabe
umfassen (Vgl. Osterloh/Frost 2003, S. 135f.).
Wie aus der Untersuchung hervorgeht sind
sowohl die Beziehungen
zwischen Projekten und Prozessen, als auch zwischen den übrigen
Elementen des Systems Management, äußerst intensiv und reichhaltig.
Insofern bleibt festzustellen, dass man für die Gestaltung von
Prozessen viel von der Projektorganisation lernen kann, aber sachgemäß
natürlich auch umgekehrt. Die Analyse der Beziehungen zwischen den
Elementen des Systems Management führt uns, von einem nicht zu
bewältigenden Denken in zahlreichen Variablen ähnlich einer Simulation,
hin zu einem Denken in Zusammenhängen. Die Analyse der Beziehungen
zwischen Projekten und Prozessen zeigt eine Fülle an Gemeinsamkeiten
zwischen den Elementen auf. Gerade diese zahlreichen Gemeinsamkeiten
lassen uns vermuten, dass im analysierten System Management eine
gemeinsame Grundstruktur vorherrscht. Deshalb machen wir uns im
kommenden Abschnitt auf die Suche nach der vermuteten Grundstruktur, um
das „Warum?“ der Integration abschließend zu beantworten.
Gemeinsame Grundstruktur im
System Management
Basierend auf den Untersuchungsergebnissen der Beziehungen im System
Management stellen wir die These auf, dass eine Grundstruktur am Werk
ist, die sich durch die außergewöhnliche Fülle an Gemeinsamkeiten, vor
allem zwischen den Elementen Management, Prozess und Projekt, selbst
Ausdruck verleiht.
Das Systemdenken bietet die wichtige und
potentiell machtvolle Einsicht, dass es ständig wiederkehrende
Strukturmuster gibt. Diese Strukturmuster oder Grundstrukturen nennen
sich „Systemarchetypen“. Wenn das verstärkende und ausgleichende
Feedback sowie Verzögerungen so etwas wie die Verben und Substantive
des Systemdenkens sind, dann gleichen die Systemarchetypen einfachen
Sätzen oder kleinen Geschichten, die wieder und wieder erzählt werden.
So lässt sich eine umfassende Palette von Managementsituationen auf
eine relativ kleine Zahl von Systemarchetypen zurückführen. Folglich
ermöglicht die Kenntnis einer stark beschränkten Anzahl von
Systemarchetypen, effizientes „Handeln“ in einer großen Anzahl von
Management-Situationen. Diese Systemarchetypen zu erkennen bildet die
Grundlage, um in Anbetracht schwieriger Herausforderungen mögliche
Hebelwirkungen wahrzunehmen und diese auch zu nutzen. Durch das Nutzen
der systemeigenen Hebelwirkung erhöht sich dementsprechend die Aussicht
auf erfolgreiches Handeln oder verringert sich im umgekehrten Fall.
Manchmal erzeugen diese Abläufe eiàão*V àão*V ig*V ÐŽh*V Häo*V äo*V ² äo*V nge 2001, S.
118-120). Im Folgenden wird der Systemarchetyp „Gleichgewichtsprozess
mit Verzögerung“ ausgewählt und auf das System Management angewendet.
Anwendung des
Systemarchetyps: Gleichgewichtsprozess mit Verzögerung
Abbildung 7 zeigt die Anwendung des Gleichgewichtsprozesses mit
Verzögerung auf das System Management. Dabei bringen wir das in Kapitel
2.1 erstellte Management-Modell mit dem gewählten Systemarchetyp in
Verbindung. Die nachfolgenden Ausführungen gelten sowohl für
Management, als auch für Prozess und Projekt, weil sich Management in
diesem Fall sowohl mit der Frage nach effizienten wiederkehrenden, als
auch einzigartigen Abläufen, beschäftigt.
Abbildung 7:
Gleichgewichtsprozess mit Verzögerung im Kontext Management
Quelle: In Anlehnung an Senge 2001, S.455.
Eine
einzelne Person, Gruppe oder Organisation unternimmt eine bestimmte
Handlung, um ein gesetztes Ziel zu erreichen. Die Akteure handeln mit
der Absicht Wert zu schaffen, wohingegen im allgemeinen Fall jede
denkbare Zielsetzung möglich ist. Um eine zielgerichtete Handlung zu
vollziehen wird eine Phase der Planung vorgesehen. Die Planung soll
helfen die Zielsetzung in konkrete Maßnahmen zu übersetzen. Sofern
lediglich ein „einfaches“ Problem vorliegt, bedarf es mit Sicherheit
keiner umfassenden Planung. Liegt jedoch ein Fall dynamischer
Komplexität vor, muss das Verhalten einem verzögerten Feedback
angepasst werden, wie es zum Beispiel häufig bei der Projektplanung mit
der Einplanung von Pufferzeiten geschieht. Mit dem anschließenden
Schritt der Ausführung wird der Plan in die Realität umgesetzt.
Dabei gilt es auftretende Verzögerung
wahrzunehmen und dementsprechend zu reagieren. Bei der Kontrolle sind
übertriebene korrektive Maßnahmen, aufgrund von nicht erkannten
Verzögerungen, zu vermeiden. Hierzu dient die Phase KVP, die zugleich
eine Verzögerung als auch eine Art Lernprozess darstellt. Durch die
ständige Wiederholung des Systemarchetyps setzt ein Lernprozess ein,
der hilft künftige Verzögerungen besser zu erkennen. Es bleibt
festzuhalten, dass der angepasste Systemarchetyp „Gleichgewichtsprozess
mit Verzögerung“ sowohl im Management an sich, als auch bei der
Anwendung von Management auf Prozesse und Projekte, wieder zu finden
ist. Demzufolge beantworten wir das „Warum“ der Integration mit der
identifizierten Grundstruktur, die allen untersuchten Elementen des
Systems Managements gleich ist.
Zusammenführung der Zwischenergebnisse
Zu Beginn des Kapitels haben wir uns der Frage nach dem „Warum“ der
Integration gestellt, um das Ziel eines integrierten Prozess- und
Projektmanagement Modells zu erreichen. Die festgestellte
Spezialisierung und Aufsplitterung von im Zusammenhang benötigtem
Wissen, bildet Ausgangspunkt der aufgestellten Argumentationskette.
Durch Anwendung des Konzeptes der Interdisziplinarität, soll eine
Beantwortung der Ausgangsfrage ermöglicht werden. Den Schlüssel zum
Konzept der Interdisziplinarität bekommen wir durch ein Verständnis der
Beziehungskomplexität. Um die Beziehungskomplexität zwischen den
Wissensfragmenten zu analysieren, haben wir die Methode des
Strukturdiagramms angewendet und sind dabei insbesondere auf die
Beziehungen zwischen Prozess und Projekt eingegangen. Die Vielzahl an
identifizierten Beziehungen lässt den Schluss zu, dass eine gemeinsame
Grundstruktur der Elemente vorhanden sein muss, welche die Integration
rechtfertigt. Diese vermutete Grundstruktur wird im angepassten
Systemarchetyp "Gleichgewichtsprozess mit Verzögerung" erkannt, da
dieser sowohl auf Management an sich, als auch auf das Management von
Prozessen und Projekten zutrifft. Demzufolge wird das "Warum" der
Integration mit der gefundenen Grundstruktur beantwortet, die den
untersuchten Elementen des Systems Management gleich ist. Die
Beantwortung der Frage nach dem „Warum?" erteilt uns die Erlaubnis, die
einzelnen Teile in einem gemeinsamen Modell zu integrieren. Demzufolge
werden im folgenden Kapitel 3 die Wissensfragmente Management, Prozess
und Projekt, zusammengefügt, in der Hoffnung, beim Betrachter des
Öfteren ein Gefühl von „déjà vu“ hervorzurufen.
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